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AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus "Nach oben offen. Reflexe - Band 6"

Beim Notar in Hamburg heute unverhofft den Gebrüdern Klitschko, diesen beiden promovierten Boxweltmeistern aus Kiëw gegenüberzustehen, ist ebenso überraschend wie belustigend. Beide zwei Meter lang und weltberühmt, der Jüngere inzwischen auch mit Hollywood-Gloriole, sind sie von einer ebenso erheiternden wie auch erotisierenden, weil zutiefst humorigen Beiläufigkeit und unprätentiösen Bescheidenheit, die freilich hellwach ist – und sehr viril.

Starke Atmosphäre um diese beiden Hünen im Notariat.

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Weil diese USA nicht imstande waren, selbst einen eigenen Gorbatschow auf die Beine zu stellen (und ihren vielleicht vergleichbaren Clinton massiv behinderten), brauchten sie einen externen Bin Laden, der nun zumindest den Startschuß für eine amerikanische Perestroika gegeben hat.

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Heute endlich den Widerwillen überwunden, die Vorurteile verbannt, vielfachem Drängen gefolgt und zum Potsdamer Platz gefahren, den ich zuletzt als ein trostloses Brachfeld aus Modder, Tristesse und Garnichts gesehen hatte, circa Anfang der neunziger Jahre.

Inzwischen preist ihn die Welt als Logo des neuen Berlin.

Wohlan.

Was ich heute vorfand, war die konzeptionslose Anhäufung gigantomanischer Einzelbauten; neureiche Großkotzerei ohne Sinn und Verstand, ohne Raumgefühl, ohne Luft, ohne Licht, ohne Himmel und ohne Natur. Aneinander geklatschte Großmannssucht, deren einziger Zweck der Verkauf überteuërter Waren in überteuërten Läden ist, die alle leer waren. Es roch nach Verschuldung, Konkurs und Pleitegeiër in Gold und Marmor. Und in Braun. Stumpfe, leblose Nazitöne herrschen vor. Bronzierte NSKK-Atmosphäre.

Also wieder Tristesse. Und wieder Trostlosigkeit. Wieder gar nichts. Aber nunmehr aussichtslos auf Millimeterpapier gestaut und hochgestapelt.

Ringsum noch immer der alte Modder – aber schon nostalgisch.

Das ganze Unternehmen atmet Kopflosigkeit und Zukunftslosigkeit. Selbst seine Gastronomie verschreckt hinter luxuriösen Fassaden, weil auch sie kulturlos ist. Snacks, Sandwiches, fastfood und Selbstbedienung. Da ist ungut zu sein. Man flüchtet aus dieser Unheimeligkeit.

Was keinen andern Sinn hat als Kommerz und Profit, ist hier abermals hautnah zu spüren, das trägt den Ruïn der Baisse schon in sich. Bloß weg.

Das Verprellendste ist die Sinnlosigkeit. Eigentlich braucht das alles niemand. Die vermeintliche Imposanz soll darüber hinwegtäuschen.

Insofern erinnert es auch an den Petersdom.

Luftblasen spielen Weltmacht.

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Was dem Zahlenmystiker erst heute auffällt:

als am 11. September 2001, diesem inzwischen melodramatisch stilisierten Schreckenstage, die islamistischen Terroristen ihre gekaperten Flugzeuge in die Wolkenkratzer des World Trade Center einfliegen ließen, feiërten die so heimgesuchten Vereinigten Staaten just die 28. Wiederkehr ihres verbrecherischen Putschs gegen Salvador Allende und das chilenische Volk: die 28. Wiederkehr ihrer illegalen Inthronisation des Massenmörders Pinochet, der Ermordung Allendes und abertausender Chilenen.

Jene chilenische Tragödie, eine kriminelle Versündigung an der Demokratie und ein Höhepunkt US-amerikanischen Terrors, war, weiß man heute, das Werk Präsident Richard Nixon's und seines fränkischen Inspirators Henry Kissinger.

Die Geschichte brauchte 28 Jahre, um die USA für dieses Kapitalverbrechen zu bestrafen.

Die Strafe ist unverdient milde ausgefallen.

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Es gibt tropische Fische, deren sämtliche Exemplare in ihrer Jugend männlich sind. Junge Weibchen gibt es gar nicht.

Erst nach ihrer Geschlechtsreife werden aus all diesen Männchen allmählich lauter Weibchen. Betagte Männchen gibt es dann überhaupt nicht.

Also auch hier das Prinzip der Androgynie: aber nicht simultan wie bei Mensch und so manchem Säugetier, sondern sukzessiv. In der Bilanz jedoch sind alle beides – sei es gleichzeitig, sei es nacheinander.

Nur eins von beidem zu sein, scheint der verschwenderischen Natur zu unökonomisch oder zu unrational.

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Eine Religion, die zur Durchsetzung ihrer geistigen Ziele ungeistige Mittel verwendet, hat aufgehört, eine Religion zu sein.

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Evolution ist ein Aristokratisierungsprozeß. Nur die Elite überlebt.

Keine guten Karten für Demokraten und sonstige Egalitäre. Sie sind die eigentlich Wider- oder Unnatürlichen und dürften in einem evolutionären Universum ohne jede Chance sein.

Erschreckt oder freut das?

Ist es gar ein Hoffnungsschimmer? Gar der einzig verläßliche?

Illustration : Pagode

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