This site will look much better in a browser that supports web standards, but it is accessible to any browser or Internet device.



AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus

STERNGUCKER ODER DAS IDYLL EINES OBDACHLOSEN
Band 3: Kranichrufe

Diese Dolche

Internet: www.speakers'cornerTV/blaugold-dioskuren.de

Stichwort: "Friede schöner Götterfunke".

Also, Euer Schiller-chatting liest sich ja wie der schrillste Krimi - nee, echt. Kompliment.

Ich selbst habe von Schiller keine Ahnung, totale Fehlanzeige, ich bin Mode-Designer (Spitzname in der Branche: Johanna). Deshalb fand ich das auch so toll bei Euch, wie Schiller seinem dänischen Sponsor auf den Teller knallte, daß ihm die Schönheit wichtiger ist. Letztendlich bin ich mit meiner Mode ja auch bloß so ein Schönheits-Fuzzi, so what!

In Sachen Schönheit bin ich auch immer viel herumgekommen: zu Modeschauen, Messen, Präsentationen, sowas eben. Meist nach Paris und Rom. Aber wenn die Termine es erlaubten, habe ich mir da immer überall die Sehenswürdigkeiten angesehen, da gab es nichts! Als Ersatz sozusagen für vorenthaltene Schulbildung (Achtung, Elternschelte!).

Na gut.

Jedenfalls hat mich auf diese Weise in Leipzig mal eine sight-seeing-Tour in den Stadtteil Gohlis verschlagen, der ja früher noch ein Dorf außerhalb der Stadtgrenze war, long ago.

Dort soll Schiller ja damals mit seinen Kumpels so 'ne Art WG bewohnt und besagtes Lied geschrieben haben. Oder?

Jedenfalls stand das so auf einer alten Tafel an der Fassade des Hauses. Ich hatte ja immer gedacht, das wäre von Beethoven. In Singapur habe ich es im Fernsehen sogar mal als soundtrack zu einem Werbespot gehört. Oder war das jetzt in Hong Kong? EgalTOP

Was mir nämlich schon damals in Gohlis auffiel: der Rahmen dieser Tafel, eigentlich eher schlicht, hat oben und unten in der Mitte so Stuckaturen. An die obere kann ich mich nicht mehr genau erinnern, sowas wie ein Monsterkopf, der die Zunge zeigt, oder irgend so'n griechischer Rachezombie oder sowas, egal.

Aber unten bestand dieses Ornament aus zwei Köpfen, die ich erst für die lachende und weinende Maske hielt: nach Art der gesprayten Graffiti überall. Aber es waren dann doch keine Masken. Es sind zwei Köpfe, die voneinander wegschauen. Heißt das nicht Januskopf? Oder hier bei Euch vielleicht negative Dioskuren oder sowas. Der eine weiß nicht, was der andre sieht. Aber will es wohl auch gar nicht wissen, guckt lieber weg. Dazwischen noch so trennende Blätter in Stuck, barocker Jugendstil, aber echt.

Na gut, warum nicht.

Aber jetzt kommt es. Im linken Auge des linken Kopfes steckt ein Dolch. Nee, echt. In dieses Auge gestoßen. Mir wurde ganz anders, ehrlich. Da war plötzlich Schluß mit Freude, schöner Eierkuchen. Stich. Ich hab damals extra den Text auf der Tafel nochmal durchgelesen: ob Schiller hier vielleicht blind wurde oder ermordet wurde oder überfallen oder gestorben ist oder sowas. Aber nee:

"Hier wohnte Schiller und schrieb das Lied an die Freude im Jahre 1785".

Und Dolchstoß. Lied an die Freude und Dolchstoß.TOP

Das fiel mir jetzt ein, als Ihr hier sagtet, das war dann die Freimaurerhymne, und Schiller wollte nichts mehr davon wissen. Vielleicht ja deshalb diese beiden Köpfe: der eine macht das Lied, der andre verleugnet es. Und Dolchstoß. Ihr sagt ja sowieso, dem Verräter würden "die Augen ausgestoßen". Das würde ja passen. Ihr könnt das noch heute in Leipzig kontrollieren.

Na, egal. Ich damals jedenfalls nach Düsseldorf zurück und alles vergessen.

Aber paar Monate später muß ich beruflich nach Hamburg. Zwischen zwei Terminen renne ich 'ne halbe Stunde durch die City. Ballindamm, Jungfernstieg, Gänsemarkt. Plötzlich Lessing-Denkmal: Hallo!

Also, von Lessing weiß ich noch viel weniger als von Schiller, eher gar nichts. Aber ich schaue mir an, wie er da in aller Ruhe auf dem Sockel sitzt. Der Sockel ist auf allen vier Seiten durchgestylt: so Texte und Figuren. Auf einer Seite die Liste seiner Werke, Titel total vergessen, aber bloß vier: hat er gar nicht mehr geschrieben in 52 Lebensjahren? Ja nicht sehr fleißig. Oder? Aber einen von den vier Titeln weiß ich noch: Gespräch über Freimaurerlogen oder so ähnlich, kann das sein? Weil mich das damals sofort an "Loge P 2" und Mafia erinnerte, ich kam da grade von einer Versace-Präsentation aus Rom zurück, darum.

Na, egal. Ich gehe also langsam um diesen ganzen Sockel rum: und Horror! So als Halbrelief plötzlich ein Kopf mit weit aufgerissenem Munde, der eindeutig schreit. Aber klar, daß der schreit, denn er hat keine Zunge mehr, und in seiner Kehle steckt ein Dolch. Derselbe Dolch wie im Auge von Gohlis. Genau derselbe. Ein Dolchstoß auch hier.TOP

Aber um den Hals dieses schreienden Erdolchten ohne Zunge sind Schlangen gewickelt, wimmeln da richtig, Natterngezücht, also Gift. Also war dieser Dolch wohl vergiftet.

Vielleicht kommt sowas ja auch in Lessings Büchern vor, was weiß ich. Was sollte es sonst auf einem Denkmal, das ihn angeblich feiern will?

Aber die Ähnlichkeit mit Gohlis steht fest. Als wurden die beiden ermordet? Oder wie soll ich das alles verstehn? Als Warnung? Als Drohung? Waren die beiden denn schwul oder was?

So, das wär's. Ich kann auch nicht weiter, das war schon zu viel für heute. Ich liege nämlich in der OIRU-Klinik in Düsseldorf. Viel Zeit bleibt mir sowieso nicht mehr. Lessing wurde ja wenigstens 52, Schiller noch 45, ich bloß 32.

Aber manchmal, wenn ich Euch über Schillers rätselhaften Tod so chatten sehe, denke ich ja, der ist auch schon an OIRU gestorben. Oder?

Tschau.

Volltext im Internet über www.buchhandel.de

Illustration : Schiller Illustration : Schiller

Copyright-Hinweis: Die Inhalte dieser Seite sind urheberrechtlich geschützt. Eine private oder kommerzielle Verwendung dieser Inhalte (Bilder, Texte) erfordert eine ausdrückliche Genehmigung durch Moritz Pirol.