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AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Aus "Liebesbrief an fremden König"

Nyng

Nyng scheint ein Halbknabe: indifferent in Alter und Geschlecht, mit femininer Stimme, bübischen Haaren und Unterarmen, sehr virilem Bizeps und deutlich juvenilem Bewußtsein. Sein Geist ist behend, fantasievoll und gewitzt, sein Körper agil und sinnlich, im Gesicht dominiert der Mund mit so dicken Lippen, daß sie schwer zu schließen sein mögen und infantile Naïvität offenbaren.

Portrait: Sawaang

Sawaang (Foto: Nohng Noh)

Eine Saison lang verdient sich dieser Nyng einen Hungerlohn als Bauarbeiter fern von seiner Familie und wohnt so lange mit dreizehn Arbeitskollegen in einer Gemeinschaftsunterkunft, die aus einem einzigen Raum besteht.

Feierabends bummelt er mit seinen Kumpanen durchs Dorf, leistet sich ein Bier oder spielt Billard. Nach einer Freundin befragt, radebrecht der 21jährige: I young boy. Mit Rückfragen eines ausländischen Interessenten, ob er ein junger Boy sei oder einen habe oder sich vielleicht gar einen wünsche, ist Nyng linguistisch wohl überfordert und antwortet so pauschal wie sphinxhaft einfach yes. Attacca aber rettet er seine Ehre und fügt verwirrend hinzu, daß er viele Freunde habe.

Falls jener Ausländer nun noch Lust und Gelegenheit hat, diesen Nyng zu beobachten, wie er im Billard-Pool, im Männerheim, in der Bar, beim Fischen oder abendlichen Muschelbuddeln am Strande mit seinen Freunden umgeht, mag er vollends sehnsüchtig werden.TOP

Denn selbst wenn sie in einer Garküche ihr preiswert karges Abendessen verzehren, teilen sich mit Vorliebe jeweils zwei von ihnen einen Stuhl, obwohl es noch genügend vakante Sitzgelegenheiten gibt. Auch auf mancher Bootsbank oder Reling, auf Barhockern oder angeschwemmten Palmenstämmen sieht er Nyng und seine Kameraden, auch deren Brüder und Vettern mit eng aneinander gepreßten Gesäßen beieinander hocken.

Oft drücken sich da natürlich auch ihre bloßen Beine Haut an Haut und an- oder aufeinander; ihre Hände liegen und fuhrwerken unweigerlich gar auf den Innenseiten der nachbarlichen Oberschenkel oder aber auch unterhalb der liebend gern bis über die Brustwarzen hochgelüfteten T-shirts auf den brüderlich umfaßten Flanken und Rippen, im Falle oft bevorzugten muscle oder U-shirts auch griffig auf den angelehnten Freundesschultern. Bei Lastwagen- und Schiffstransporten stützen sie sich auch gegenseitig durch entsprechenden Körperdruck und durch ein flexibles Anschmiegen, das jede Bewegung des Fahrzeugs, jedes Beben des Motors aneinander mitvollzieht.

Sogar in den kurzen Unterbrechungen oder Pausen ihrer Arbeit auf dem Bau oder als Kellner zwischen essenden Gästen aus aller Herren Ländern, als Verkäufer in ihren international frequentierten Läden oder Fischer in aus- und einfahrenden Booten pflegen sie, sich in aller Öffentlichkeit umarmt aneinander zu lehnen, einander zu stützen und die Hände aneinander zu legen.

Aber am allerliebsten sitzen sie aufeinander: weil es viel angenehmer ist als allein zu sitzen.TOP

Nicht zuletzt zwei ranghohe Protagonisten der Kommunalpolitik, sowas wie Bürgermeister und Landrat, also gestandene Mittfünfziger in spießig pseudo-europäïscher Kleidung, pflegen bisweilen durch ihr Städtchen zu schlendern, sich von jedermann mit allerrespektvollst zusammengelegtem wai der Handinnenflächen grüßen zu lassen und dabei selbst mit schaukelnden Armen an den Händen zu halten wie ein junges Liebespaar.

Hautkontakte werden also nicht scheinheilig gemieden wie in europäïschen Ländern, sondern gesucht, herbeigeführt, gefunden und ausgeweitet: weidlich genutzt. Gar in den Wohnbaracken der Saisonarbeiter, wo sich die Kerle halbnackt und brünstig auf engstem Raume über- und untereinander ballen, ist die Atmosphäre erotisch hochvoltig aufgeladen - Sinnlichkeit als unexplosiver Natur- und Normalzustand.

Portrait: Gomaat

Gomaat (Foto: Nohng Noh)

Vollends auf ihren Motorrädern, ohne die sie nicht mehr die kürzeste Strecke zurücklegen, sitzen Nyng und seine Freunde und deren Brüder und Vettern nie allein, meist zu zweit und am liebsten zu dritt oder viert.TOP

Notfalls lädt Nyng sich daher gern auch einen wandernden Ausländer zu solcher ménage à trois hinten auf. Dann ist ohne jede Beengung von außen ein allerdichtestes Aneinanderpressen geboten und unvermeidlich. Ein solcher farang, der diese Art Beförderung aus seinem europäïschen Alltag nicht gewohnt sein mag, umklammert dann die kurzen und schlanken Oberschenkel seines zartgewachsenen Vordermannes zuerst noch ängstlich und hält sich mit den Händen an dessen Marmorschultern, dann an den besänftigend ruhig atmenden Flanken, später behutsam am weichen oder auch gestrafften Bauch, schließlich gar übermütig an der konkaven Hühnerbrust fest, mit seinen Zeigefingern beiläufig zielsicher die kaum erspürbar winzigen Brustwarzen treffend.

Bei längeren Fahrten lösen alle diese Griffe in immer kürzeren Abständen einander ab und verwandeln sich dabei unbeweisbar zu einem angedeuteten Streicheln und Schmusen in staccato-Form. Für gelegentlichen Wortwechsel muß sich da aus akustischen Gründen der Aufsitzende so weit vorbeugen, daß Wange dann fast an Wange liegt. Gar wenn es dabei wieder mal tropisch zu regnen beginnt, muß Hintermann den Vordermann beid- und ganzarmig umschlingen und sein glühend nasses Gesicht so tief wie irgend möglich zwischen dessen flügelhaft ragende Schulterblätter pressen.

Alle solche Berührung kann Nyng beim Chauffieren zwar nicht direkt erwidern, wohl aber so bereitwillig entgegen-, an- und hinnehmen oder auch dirigieren, daß die Glückszange ihres wechselseitigen Schenkeldruckes, vor allem aber der unfreiwillige Gegendruck seines konzentrierten Fahrergesässes bisweilen eine schwer unterdrückbare Erektion des Aufgebockten anregt, der aber nie erfahren wird, ob Nyng sie mit seiner ursächlich auslösenden Knackigkeit überhaupt noch zu übersehen oder mißdeuten imstande war. Beim Absteigen flirtet Nyng freilich heftig.TOP

Aber er flirtet fast immer so heftig. Auch seine Kollegen und Freunde, deren Brüder und Vettern flirten fast immer so heftig, sind jedenfalls stets und allzugern zum Flirten bereit. Es begleitet und ergänzt wohl auch all ihre vielen Körperkontakte und bedient sich mit Vorliebe eines wissenden, dennoch fragenden Lächelns, das nur eine der zahllosen Facetten jenes legendären thailändischen Lachens und ihnen allen ganz bewußt ist, ohne daß es deshalb seinen naïven Charme verliert.

Dieses Lachen kann viele Gründe und Zwecke haben. Es kann durch Komik ausgelöst werden wie durch Freude, auch durch Verlegenheit oder Übermut oder Unsicherheit oder Spieltrieb oder Güte, erst recht als Signal des Flirtens. Immer aber ist es ein Aufblitzen, eine Explosion der Seele, ein jähes Durchlassen des Verborgenen, des Geheimen, des Intimen ins offenbarende Gesicht, das dadurch noch schöner wird.

Portrait: Hmuh

Hmuh (Foto: Nohng Noh)

Und zumal wer so als Sozius auf Nyngs Motorrad über Land fährt, sieht allenthalben noch im hinterwäldlerischsten Slum lauter filmreif lächelnde und blitzblank gewandete männliche beautés aus Wellblechhütten, Bambusverschlägen, Pfahlbaukaten und Männerbaracken ins Unerreichbare ihres so prüden wie keuschen Lebens hinaustreten und mit strahlendem Lachen den Arm um die Schulter, die Flanke, die Lende eines Freundes legen, überall.

So unterwandern sie die gesellschaftlich auferlegten Frustrationen jahrelanger Askese und ersparen ihrer wollüstig glühenden Haut den radikal geforderten Verzicht auf körperliche Erfüllung, die sie einzig und allein durch die meist unerreichbar ferne Eheschließung finden sollen.TOP

Nicht wenige aber setzen dann später auch noch als Ehemänner und Familienväter auf zutiefst distanzierte und unnachahmlich königliche, aber vollkommen öffentliche Weise jene angenehmen Hautkontakte ihrer Adoleszenz mit einem Hofstaat von Freunden und Ausländern fort. Die Frauen respektieren es.

Das läßt sich bisweilen gar bei einem sehr offiziellen Brunch im Nobelrestaurant eines mehrsternigen Hotels beobachten, wenn zum Beispiel einer feinen und sichtlich hochgestellten, sichtlich wohlhabenden Gesellschaft an langer Festestafel ein hierarchisch noch höher Stehender introduziert und vorgestellt wird, für den sich alle, auch die Damen von den Plätzen erheben: so respektabel ist er. Aber der ihn vorstellt und insofern auch selbst über erwiesene Respektabilität verfügt, hat keinerlei Bedenken, eben während dieses zeremoniellen Augenblicks seine kräftige Patschhand dem übergeordnet Höhergestellten zuerst in Taillenhöhe auf den Rücken zu pressen und dann langsam abwärts gleiten zu lassen, bis sie sich auf der rechten Arschbacke des Honorablen wohlig ausruht. Den irritiert dieser Griff nicht im mindesten. Sein Bewußtsein scheint ihn gar nicht zu bemerken: so sehr mag er derlei auch in all seiner hierarchischen Höhe gewohnt sein.

Und unbewußt mag er da mitten in seiner offiziellen Begrüßung diesen rückwärtig angenehmen Zugriff genießen.

Volltext der Erstfassung im Internet über www.libreka.de

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