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1. "Hahnenschreie" lotet Möglichkeiten des männlichen Lebens aus. Warum nennt es sich "Hahnenschreie"?
HAHNENSCHREIE: "Ich liebe den Hahn in seiner wohlvertrauten Einsamkeit inmitten des volkreichen Hühnerhofes, wie er die tiefste Stunde der Nacht, wenn alle Hennen unweckbar auf ihrer Stange schlafen, nutzt, um seine ewig unerfüllte Sehnsucht nach anderen, nach unerreichbar fernen Hähnen endlos in die stille Welt hinauszukrähen, aus deren entlegensten Winkeln ihm unermüdlich die ebenfalls schlaflos sehnsüchtigen Artgenossen brünstige Antwortrufe wiederkrähen: so sehr sehnen sie alle sich nacheinander."
2. "Hahnenschreie" bezeichnet sich selbst gelegentlich als den Versuch, "eine Art Saga zu schreiben, die sich aus den unvereinbar scheinenden Kontrasten einer zeitgenössischen Biografie komponiert". Wie werden diese unvereinbaren Kontraste zusammengehalten: durch welches Ordnungsprinzip?
HAHNENSCHREIE: "Ordnungsprinzip des ganzen Gewabers wäre nach Saga-Art eine alles miteinander verbindende Sippe, die aber heutzutage nicht mehr aus einer Familie, sondern aus einem Kader von Freunden, Partnern, Gurus, Liebhabern, Kollegen und Gleichgesinnten bestünde und das enorme innere Spektrum eines Menschen reflektierte."TOP
3. Und über welche Themen berichtet eine solche Saga?
HAHNENSCHREIE: "Über Themen, die tabu sind ... Zum Beispiel über das Verbrecherische des deutschen Fernsehens; über Penis-Typen; über die schmerzhaft absurde innere Unmöglichkeit von Demokratie; über Nikolai Gogol; über die Pflicht des höher entwickelten Menschen, androgyn, also auch homosexuell zu sein, und ein Hohelied auf den Exhibitionismus."
4. Was ist für "Hahnenschreie" Exhibitionismus?
HAHNENSCHREIE: "Die Not eines Menschen, der sich zeigen will, aber nicht gesehen wird ... Sein Intimstes veröffentlichen ist eine Wollust, Junge, die man zum Leben braucht. Wer sich die nicht verschafft, der verkümmert und geht ein. Nur wer sich hingibt, findet sich."TOP
5. Was ist für "Hahnenschreie" am leitmotivisch auftauchenden Faschismus noch tabu?
HAHNENSCHREIE: "Wie unverhofft und dreist uns nach wie vor Faschisten ihre Fallen stellen. Nach wie vor müssen wir uns für oder gegen sie entscheiden. Immer wieder. In jeder Arbeit, mit jedem Projekt, bei jeder Begegnung."
6. Gehört auch Pädophilie zu diesen Tabus? "Hahnenschreie" berichtet von Goethes Knabenliebe, die er selbst "als natürlich-widernatürliche Kulturerrungenschaft gepriesen" habe. Gibt es noch andere Kronzeugen, auf die sich "Hahnenschreie" dabei beziehen kann?
HAHNENSCHREIE: "Auf jene fischenden Mohave-Indianer am Colorado, deren Kinder sich schon lange vor der Pubertät miteinander, aber auch mit Erwachsenen auf sportlich spielerische Weise sexuell vergnügen und dabei freundschaftlich-erotische Verfügbarkeit für ihr ganzes Leben erlernen ... Später der niemals süchtig verfallene, nie krampfhaft klammernde, sondern gleichbleibend spielerisch unabhängige Umgang mit dem Geschlecht: fantasievoll, neugierig, experimentierfreudig, unkonventionell - immer neu; ohne Fixierung und ohne Routine; kreativ."TOP
7. Was soll in "Hahnenschreie" der Lederkeller?
HAHNENSCHREIE: "Der Lederkeller ist eine letzte Männerbastion. Hier sucht das Maskuline keinen Kontrapunkt, es will sich ungebrochen selbst ... und fragt sich, warum Sperma einen so starken Geruch hat, wenn es nur dafür gut sein soll, ungerochen in Frauenbäuchen zu verschwinden: dafür ist Mutter Natur normalerweise viel zu ökonomisch."
8. Reichlich schmuddelig. Gibt es für "Hahnenschreie" auch sowas wie Reinheit?
HAHNENSCHREIE: "Dem Reinen muß auch das Unreinste rein sein."TOP
9. "Hahnenschreie" sind viel unterwegs: in Venedig, Istanbul, Casablanca und auf Go Pih Pih, im Thüringer Walde und auf den Seychellen, in Göttingen und Rom, in Canaima und sonstwo - warum das?
HAHNENSCHREIE: "Immer ist wo anders zu leben genau so möglich."
10. Relativierung des Raumes also. Aber hebt das auch gleich die Zeit auf? In "Hahnenschreie" ist Vergangenheit auch Gegenwart und Zukunft: alles eins?
HAHNENSCHREIE: "Verlust des Zeitgefühls ist mit einem sehr starken Lustgewinn verbunden."TOP
11. Hängt solche lustvolle Zeitlosigkeit auch mit dem Todeskonzept der "Hahnenschreie" zusammen?
HAHNENSCHREIE: "Alles Leben lebt vom Töten. Nur wer tötet, überlebt. Auch der Mensch existiert nur, indem er tötet. So ist er konstruiert. Und so ist der ganze Bios konstruiert. Analog wohl der ganze Kosmos. Insofern ist es richtig so. Wenn es nicht richtig wäre, würde es nicht funktionieren. Aber es funktioniert. Seit Jahrmillionen, Jahrmilliarden."
12. Und wie ist mit dieser mörderischen Geschichte unseres Planeten das Walten eines gütigen Gottes vereinbar?
HAHNENSCHREIE: "Es ist so vereinbar: Sterben ist nichts Schlimmes. Es ist was Gutes. Auf ihm beruht das Universum: alles, was ist. Weil Sterben eben nicht Aufhören, nicht Beseitigen ist, sondern Grundkonstrukt. Vermutlich macht es da gar keinen Unterschied, ob etwas "lebt" oder "tot" ist. Weil es immer im Ganzen, im Göttlichen ist, nie hinausfällt. Nichts fällt je hinaus. Es gibt kein Außerhalb. Denn was im Wechselspiel von Raupe und Schmetterling geschieht, ist schwerlich ein Sonderfall. Eine so ökonomische Weiterverwendung von Vorhandenem wird seitens der Natur vermutlich nicht nur dieses eine Mal praktiziert - von der Weiterverwendung des Immateriellen ganz zu schweigen!"TOP
13. Und warum fürchten wir dann den Tod? Warum trauern, warum erschrecken wir über ihn?
HAHNENSCHREIE: "Schrecken über einen Tod ist ganz tief innen eine Freude. Vielleicht weil da was wirklich unwiderruflich ist. Schon das hat was Tröstliches. Außerdem wissen wir wohl auch, daß da ein Verlust gar nicht stattfindet. Im Gegenteil. Das vorher Gefährdete wird festgeschrieben. Erst jetzt ist es unzerstörbar. Es ist gut so und für immer."
14. "Hahnenschreie" jongliert und spielt mit Kunst und Künstlern früherer Epochen und deren Zitaten. Was soll damit gezeigt werden?
HAHNENSCHREIE: "Wie moderne Kunst nicht vergessen kann, daß sie selbst ein Nachkomme ist. Sie kann nichts vergessen. Muß immer an alles denken, was vorher ist. Treibt das zuhauf. Versammelt das alles. Sie sammelt. Ist ein Sammler. Läßt nichts mehr aus. Vergessen wäre Undank. Verlieren Barbarei. Übersehen Vandalismus. Verzichten Untergang. Alles lebt von allem. Wächst an allem, reift an allem. Braucht auch alles. Alles hängt zusammen. Nichts ist isoliert. Nichts einsam. Nichts allein. Nichts steht für sich."