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AUTOR VON "HAHNENSCHREIE", "LIEBESBRIEF AN FREMDEN KÖNIG" UND SCHILLER-TRILOGIE ("STERNGUCKER ODER ...")



Leseprobe 2
Aus "PIAZZA IM WALDE

 

Vorbei an gigantischen Mangrovenwaldungen und tropischen Fjorden mit schwindelerregend hohen Felswänden, auch an rhythmischen Fontänen im Atemtakt der Andamanensee und an scheint's nie betretenen Monsterstränden mit überraschend idyllischen Binnenseen ging es zu einer Inselgruppe mit sehenswertem Kalksteinpanorama und pittoresken Tropfsteingrotten, mit wilden Makakenherden, atavistisch versteinerten Muschelgebirgen, gruseligen Felslabyrinthen mit Seeschwalbennestern und archaischen Gräbern unter Höhlenzeichnungen, legendären Waranen in Bananendschungeln, einem unterirdisch lichtlosen Wassertunnel zu irrealen Märchenstränden und Pfahlbaubehausungen wie seit Jahrtausenden und zu exotisch blühendem Wildwuchs vom Allerbizarrsten.

Schon kurz danach also saß er in gechartertem Glasbodenboot und beantwortete inmitten einer Wolke aus Parfums und Nikotin in vielen Sprachen die stetig zugerufenen Standardfragen von ahnungslos gestreßten und angsterregend unvorbereiteten Weltenbummlern aus aller Herren Ländern: erschreckend viele schon wieder in den unappetitlich schmuddelweißen Turnhemden weiland der weiblichen Hitlerjugend, jetzt aber gern und schamlos auch von fetten alten Männern über blumigen Bermudashorts getragen. Viele von denen fragten immer wieder nach der hiesigen Uhrzeit, dem heutigen Wochentag, nach aktuellen Wechselkursen oder den Öffnungszeiten des nächsten Postamts, andere nach Preisen für alles und jedes, Deutsche auch mit Vorliebe, wann es denn endlich mal ein Wochenende gebe und mancher Franzose, warum hier keine Bordharpunen für seinen Fischfang ausgegeben würden

Guidos Hinweise auf die Einmaligkeit des Mangrovenkosmos oder mancher Felsformation und sonstiger Fotomotive zur Rechten oder Linken ihrer Seefahrt gingen da im internationalen Palaver meist unbeachtet unter.

Wo jippsn hier Eppel“, fragte ihn eine füllige Berlinerin: ”aba jünstich?“

Überhaupt nicht.“

Ach, hamm die jar keen Obst hier?“

Bloß Mango, Bananen, Papajah und Litschi, Durian, Jakobsfrüchte, Kokosnüsse, Mangostane, Guavas, Longans, Rambutan, Marakuja – ”

Aba ten heiß hier doch zehn, wa? Ten eppels, oder? Aba jünstich!“

Günstig: wo gibt es hier wat günstig?“ mischte sich ein junger Rucksackträger aus Wanne-Eickel ein. ”Wir fahren bloß hin, wo alles günstig ist, woll?“

Hier hams zwoamal täglich Ebbe und Flut“, hatte da ein Bayer just von seinem Reiseführer erfahren und glaubte das nicht: ”Ja, gibt’s dös aa?“

Bei uns in Sankt Peter-Ording“, prahlte ein Dummbatz von der Halbinsel Eiderstedt, ”kommt die Flut nur einmal teechlich: aber viel, viel länger als hier, also, sehr viel länger: unser weltberühmtes Watt da!“

Und unsre Nippflut“, behauptete ein vorlauter Siebengebirgler aus Nonnenstromberg, ”die kennen die hier jar nit! Fehlanzeije!“

Typisch: die kennen hier jar nix.“

Weil sie zu faul sind zum Lesen.“

Bei uns in Danmark“, radebrechte ein Jüte aus Brønderslev in seinem heimisch plattdeutschen Sønderjysk, ”haben wir links eine Meer mit Ebbe jede Tag, aber rechts eine ohne: allebeide schon in unser Jylland – einmal mit und einmal ohne Ebbe, very fein!“

Bei mir ist immer Ebbe“, machte ein Witzbold aus Rommerskirchen auf sich aufmerksam. Er gehörte zu einer rheinisch-bajuwarischen Männergruppe, die mit Bierdosen in den Händen zwanghaft Kalauer produzierte.

Ein victorianisch wohlerzogener Witwen- oder Jungfernzirkel aus dem östlichen Sussex fragte Guido mit außerirdisch selbstloser Fröhlichkeit und in blumigen Sommerkleidern aus dem Brighton vor 1940, wann und wo heute nachmittag der five o‘clock tea genommen werde und ob da auch angemessenes Gebäck zu erwarten sei: ”Is there any hope … ?“

Eine kinderreiche österreichische Familie schmückte das Boot ohne Augenmerk für die passierte Landschaft in strahlendem Sonnenlichte mit lieblichen Lampions und heimischen Kerzen bei burgenländischer Volksmusik aus mitgebrachten Lautsprechern und kommentierte das alles auch interfamiliär exklusiv und gut hörbar nur in Ingglisch.

Eine japanische Jugendgruppe in einheitlich knallgelben Regenhäuten ließ durch ihre Sprecherin unergründlich erkunden, wo hier das Meer sei, und nutzte nach Guidos fassungsloser Kreiselgeste schon die restliche Hinfahrt (ohne den geringsten Abstand von den Witwen des United Kingdom!) zu einem anberaumt uniformen Gruppennickerchen vielfach mit weit geöffneten Rachen in den filigran porzellanenen Altjungfergesichtern, weißer als weiß, dieser hoch anämisch und scheinbar rachitisch unbelüfteten Retorten- oder Computergeschöpfe ohne Sauerstoff, roch dabei stark nach Zwiebeln und Fisch oder kicherte noch im Einschlafen sinn- und grundlos vor sich hin.

Ein knackig verkrampfter junger Elektriker aus dem nördlichen Västergötland beglupschte das nippotische Schläferensemble begierig und ohne Unterlaß.

Eine Rentnergruppe aus Skierniewice bei Łódż nahm auf solche ostasiatische Sondersiesta keine Rücksicht und rief sich pausenlos quer durch die geräumige Glasbodenkabine in seiner Sprache, die niemand verstehen oder kontrollieren konnte, lauthals und ungeniert langatmig rausgezischelte Informationen zu, die das Selbstgefühl einer kürzlich erst emanzipierten Nation historisch ewig Unterdrückter reichlich dreist demonstrierten, aber nur die nautische Inneneinrichtung des Bootes betrafen..

Doch eine keifend schrille Frauenstimme mischte sich plötzlich dominant in all das westslawische Gezischel ein, behauptete in hemmungslosestem Texanisch, nicht nur auf ihre US-amerikanische Staatsbürgerschaft sehr stolz zu sein, sondern noch ungleich mehr auf ihre felsenfest unerschütterliche Gefolgschaft jenes genialen ukraïnisch-israelischen Judo-Lehrers Moshe Feldenkrais, dessen Theorie eines Awareness through movement natürlich jegliche hierzulande populäre Thai-Massage, wie Touristen sie ahnungslos zu erproben lieben, spielend in den Schatten stelle und ein- für allemal erledige.

Weil niemand ihr widersprach, wurde sie immer rabiater und orthodoxer. Wirklich schien sie, für immer und ewig eine absolute Wahrheit verkünden und gegen globale Feindseligkeiten ringsum verteidigen zu müssen. Was draußen indessen verblüffend an ihr vorüberglitt, war für sie ohne jeden Belang: sie stritt und kämpfte lauthals gegen unsichtbare Windmühlen.

In einer Ecke ihres Gefährtes hörte währenddessen ein etwa fünfzigjähriger Freak mit blonder Langhaarperücke seinen ostasiatischen Bettschatz deutsche Ordnungsregeln, aber auch Vokabeln ab, die dieser heutige Sisyphos freilich selbst niederbayrisch deformierte und verfremdete. Die Sklavin wiederholte all das Verstümmelte brav papageienhaft und aussichtslos.

Ein sächsischer Metzgermeister erzählte jedem, der es hören wollte oder nicht, wie er an der ”Gosta prava“ mal einem angestrandeten Delphin mit seinem Schlachtermesser den Kopf zu tranchieren und das Gebiß als Trophäe für seine Frischfleischtheke in Grimma zu isolieren versuchte.

Überhaupt breiteten sich ringsum in allen Reisesprachen Berichte über Erlebnisse im Donaudelta, in Kroatien, Finnland, Alabama und vielen andern Ländern aus und verhinderten so jeden heutigen Nachschub.

Gleich hinter Guido listete ein junges deutsches Quartett mit beachtlicher Weltläufigkeit auf, in welchen der vielen kontrollierten Länder es leider sehr viel unsauberer, ungepflegter und ungeordneter zugehe als in der vorbildlichen Bundesrepublik: ein gnadenloses Tribunal saß da zu Gericht, verurteilte behend alle andern Völker und amüsierte sich lautstark über siamesische Einfalt, die hier so leicht zu übertölpeln sei. Beispiele wurden belacht und belobigt.

Ein zynischer Dentist aus dem Ruhrgebiet mischte sich schließlich ein und konterte so lange mit lauter linkem Gemeinplatzgetöse aus der Dose, bis ihm ein weitgereister Exporteur aus dem oberfränkischen Marktredwitz entgegenhielt, daß echter Kommunismus was Irreales sei und bleiben müsse: auch in China, auf Cuba, in Nordkorea und Vietnam heute ebenso wie früher in Sowjetunion und ganzem ”Ostblock“: eine idealistische Schimäre! Die vier Ordnungshüter applaudierten versehentlich. Aber der Dentist hielt dagegen: ”Und unsere jungen Linken?“ Nicht einmal eine Schrecksekunde, sondern: ”Die denken auch alle nur an Karriere, Macht, Opportunitäten und Geld“.

Nur alte Ehepaare verweigerten sich solchem oder jeglichem Austausch und starrten wortlos vor sich hin, ohne aber etwa wahrzunehmen, was sich da unter ihrem gläsernen Estrich alles tummelte. Ein Lesbengespann tat dasselbe auf hochgradig schlecht gelaunte oder trotzige Weise: das habt ihr nun davon!

Aber Guidos linke Nachbarin war plötzlich in Tränen ausgebrochen und überschluchzte vernehmlich jedes Gerede und Motorengeräusch. ”Kann ich Ihnen helfen?“

Uns kann niemand helfen“, verallgemeinerte sie untröstlich, stellte sich als Portugiesin aus Moçambique vor, die alltags in Brüssel vor einem Rechner sitze und Statistiken der europäischen Arbeitslosigkeit erstelle: heute noch Arbeit zu haben, sei ein auslaufendes Privileg; das könne nur noch mit radikaler Revolution behoben oder umverteilt werden, aber keiner sozialen, keiner politischen mehr, sondern nur noch einer spirituellen Revolution – alles unter unaufhaltsamem Tränenfluß ins Taschentuch hineingestammelt.

So oder ähnlich verstrich nicht nur diese Exkursion in all das üppig dargeboten Exotische ringsum: all die andern nicht grade sehr viel interessierter.

 

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